Afterparty. Roman by Daryl Gregory

Afterparty. Roman by Daryl Gregory

Autor:Daryl Gregory
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783104036038
Herausgeber: FISCHER E-Books


Kapitel 14

Wir lagen nebeneinander im Dunkeln, ohne uns zu bewegen, und trotzdem wusste ich, dass Ollie wach war. Das musste eine der ersten Fähigkeiten gewesen sein, die Säugetiere entwickelt hatten, dieses feine Gespür für unsere Höhlengenossen, die um uns herum in der Finsternis lagen, ein instinktives Verständnis dafür, welche Geräusche von zufälligen Regungen im Schlaf herrührten und welche auf Ruhelosigkeit, Furcht oder Hunger hindeuteten. Der Rhythmus des Atmens ist vielleicht unsere erste Sprache gewesen.

Dr. Gloria saß mit übereinandergeschlagenen Beinen in einem Sessel am Fenster, das Klemmbrett auf dem Schoß, und schrieb. Das machte sie ständig, füllte eine geisterhafte Seite nach der anderen. Wer würde dieses unsichtbare Buch je lesen?

Ollie und ich waren erschöpft und hätten in der Lage sein müssen zu schlafen – selbst hier, mitten in Mohawkland, in dem Haus, das von unversteuerten Zigaretten erbaut worden war. Das Haus von Roy Smoke. Als er uns sagte, wie er hieß, dachte ich, er wollte uns verarschen, doch er versicherte uns, dass schon Generationen von Smokes hier gelebt hatten. Er verfrachtete uns in einen schimmernden Pick-up, der wahrscheinlich ein Vermögen an Sprit verschlang, und fuhr uns drei Minuten die Straße runter. Irgendwo in der Dunkelheit wechselten wir von Quebec nach New York State. Im Akwesasne-Reservat gab es keinen Grenzübergang, nicht einmal irgendeine Markierung, die ich hätte sehen können.

Roys Haus war eine weitläufige zweistöckige McMansion mit zehn Schlafzimmern und überall auf dem Teppich verstreutem Kinderspielzeug. »O diese Enkel«, sagte er und schob ein Plastikdreirad aus dem Weg.

Alle schliefen, doch Roys Frau Linnie stand auf, um ihn zu begrüßen, und zuckte nicht mit der Wimper, als er sagte, dass wir hier übernachten würden. Sie war untersetzt und hatte runde Wangen, dicke schwarze Haare und eine lockere Art. Sie machte viel Wirbel um Ollie, die immer noch nass war und vor Kälte zitterte, und gab ihr einen Fleece-Hoodie und Jogginghosen. (In ihrem Rucksack hatte Ollie ganz bestimmt keine Kleidung, und ich hätte mich eh nie getraut, ihn vor den Schmugglern aufzumachen.) Die Sachen waren ein paar Nummern zu groß, aber für Ollie war alles zu groß.

Wir wurden in die Küche verfrachtet, wo sie paniertes Steak mit Soße, Mais, Kartoffelpüree und Maisbrot hervorzauberten, dazu ein knallweißes Toastbrot und einen Napf mit richtiger Butter.

»Das sind Beigetarier«, sagte Dr. Gloria.

Ich hatte nicht vor, mich zu beschweren. Trostessen war genau das, was wir brauchten. Oder was ich brauchte. Ollie aß kaum etwas und redete noch weniger. Zuerst schrieb ich es ihrer Unterkühlung zu, doch auch nachdem ihr Schüttelfrost nachgelassen hatte, wirkte sie abwesend und starrte immer nur in die Tischmitte.

Es schien Roy oder Linnie nicht zu stören. Roy redete, während ich aß, und ließ sich lang und breit darüber aus, wie gerechtfertigt sein Tabakgeschäft war. Ich dachte an christliche Suppenküchen, in denen das Essen nicht ohne Predigt zu haben war, und ließ mich wie andere Obdachlose auf den Deal ein. Roy klärte mich darüber auf, dass der Tabakhandel absolut legal und darüber hinaus elementar für die Unabhängigkeit des Stammes war. Kanada, sagte er, hatte kein Recht, Produkte, die der Stamm auf seinem eigenen Land herstellte, mit Steuern zu belegen.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.